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"Nicht nur Kalendergirls"
Die Angst vor Schmerzen und Hilflosigkeit, die Angst vor dem Tod bestimmen bei vielen von uns das Klischee vom Altwerden. Die regelmäßig durch die Presse geisternden Horrormeldungen über unerträgliche Zustände in Pflegeeinrichtungen tun ihr übriges. Man sieht genervtes und gehetztes Pflegepersonal durch die Gänge hasten, während alte Menschen stumm und hilflos in ihren Betten liegen und verdursten. Und nur wer in der Lage ist, monatlich mehrere tausend Euro aufzubringen, kann sich etwas Linderung erkaufen. Dass es auch anders geht, kann man sich im „Seniorendomizil an der Panke“ im Wedding jeden Tag ansehen. Im Café „La Tortuga“, das als Ausbildungsstätte zum Seniorendomizil gehört, ist es leer an diesem Nachmittag. Sonst ist hier mehr los,“ sagt der Kellner und serviert einen spanischen Vorspeisenteller. Das hoffe ich und werde gelegentlich dafür sorgen, denn hier, mitten im Soldiner Kiez, der, wenn man dem neuen Monitoringbericht der Senatsverwaltung glauben soll, zu den Unwirtlichsten der Stadt gehören soll, wirkt das modern eingerichtete Café wie ein Fremdkörper. „Wir haben es spanisch eingerichtet,“ erklärt Clarissa Meier, „weil wir jedes Jahr mit einem Teil unserer Senioren nach Mallorca fahren.“ Durchschnittlich scheint eine Vokabel zu sein, die es hier nicht gibt. Ein Seniorenheim, das mit seinen Patienten einen Betriebsausflug nach Mallorca macht? Hier stutze ich zum ersten Mal an diesem Nachmittag. Aber es bleibt keine Zeit, die Verwunderung zu Ende zu denken. Ich bekomme einen Kalender präsentiert, der Mallorca verblassen lässt. Achtzehn Heimbewohner haben sich für diesen Kalender fotografieren lassen. Ein älterer Herr im weißen Smoking vor dem Haus von Harald Juhnke, zwei Rollstuhlfahrer mit Kapuzenshirt und Baseballcape, die ihren hochgereckten Daumen in die Kamera halten. Man kann sie laut und fröhlich lachen hören. Die Produktion des Kalenders hat Kirsten Dürkop organisiert. Sie hat den Fotografen besorgt, die Motive ausgesucht, die Models zum schminken überredet, die Kostüme organisiert, die Termine abgestimmt und schließlich und endlich auch noch mit der Druckerei verhandelt. Das Geld für dieses Projekt stammt vom QM Soldiner Straße, dass auf der anderen Straßenseite sein Büro hat. Heimbewohner sind auch Kiezbewohner „Wir machen viel zusammen,“ sagt Frau Meier, „denn unsere Heimbewohner sind ja auch Kiezbewohner.“ Und dann erzählt sie von den vielen Projekten, die ihr Seniorendomizil schon mit den anderen Partnern im Kiez zusammen organisiert und durchgeführt hat. Man spürt, wie ernst ihr das Thema ist und wie sehr sie sich auch außerhalb ihres Heimes für ihren Kiez engagiert. Während ich mich mit Clarissa Meier über das Leben und die Probleme im Kiez unterhalte, sitzt Kirsten Dürkop freundlich lächelnd neben ihrer Chefin. Clarissa Meier ist ein Energiebündel und in ihrer Begeisterung kann man sich nicht entziehen. Als der Satz fällt, dass ohne Kirsten dieser Kalender nie möglich gewesen wäre, ergibt sich ein Punkt zum Einhaken und Nachfragen. Wir sind beim Thema „Zusätzlichkeit“. Denn für ABM – Kräfte gilt, wie auch für MAEs, dass sie nur Aufgaben erledigen dürfen, die ein zusätzliches Angebot ermöglichen. „Wenn ich hier die Menschen pflegen oder waschen müsste, wäre ich sicher nicht mehr hier, “sagt Kirsten. „Aber das Schöne an meinem Job ist ja gerade, dass ich endlich machen kann, was mir Spaß macht, dass ich hier einbringen kann, was ich kann. Und wenn ich dann die Dankbarkeit spüre, mit der meine Arbeit hier angenommen wird, nicht nur von den Bewohnern, sondern auch von der Chefin, dann weiß man auch wieder, weshalb man jeden Morgen zur Arbeit geht.“ „Und es hat ja auch keinen Zweck, gerade ehrenamtlichen Mitarbeitern Aufgaben zu geben, die ihnen keinen Spaß machen,“ übernimmt Clarissa Meier wieder. „Man muss für jeden das Richtige finden. Das bedeutet zwar Mehrarbeit, zahlt sich aber aus, denn die dabei entstehende Begeisterung, wirkt sich positiv aus.“ Und dann erzählt sie, dass man in ihrem Haus auch noch mit siebzig oder achtzig anfangen kann, Yoga zu lernen, weil es dafür eben eine ehrenamtliche, begeisterte Mitarbeiterin gibt. Begeisterung ist die beste Motivation Nach einer Studie der „Gallup Organization“ gehen der deutschen Volkswirtschaft jedes Jahr 239 Milliarden Euro verloren, weil 87% der Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt haben oder nur noch Dienst nach Vorschrift machen. Nur zum Vergleich, das ist nur etwas weniger als die gesamten Steuereinnahmen des Bundes im letzten Jahr. Bei den Senioren in der Koloniestraße könnten Manager und Politiker noch einiges lernen. Auf meine Frage, was sich in ihrem Leben denn geändert hat, erzählt Kirsten dann auch nicht nur von einer anderen Struktur des Alltags. „Ich gehe jetzt Aufgaben, von denen ich bis vor kurzem noch gar nicht gewusst habe, dass ich sie kann, selbstbewusster an. Die positiven, manchmal sogar begeisterten Rückmeldungen stärken das Selbstwertgefühl, nicht nur für die gegenwärtige Aufgabe. Und die Arbeit an den Projekten fördern das eigene soziale Verhalten. Wenn ich ein Projekt erfolgreich durchführen will, kann ich mich nicht verkriechen, sondern muss oft viele Leute zusammen bringen, damit es gelingt. Und die Chance sich auszuprobieren, eröffnet außerdem neue Sichtachsen auf sich selbst. Dadurch blicke ich jetzt viel positiver in die Zukunft, denn ich weiß nicht nur was ich will, sondern auch was ich kann und wie ich es umsetzen könnte.“ Die Schlussfolgerungen daraus sind dann nicht mehr verwunderlich. Kirsten Dürkop wird sich auch nach Beendigung der ABM weiter in Richtung selbstständige Projektarbeit orientieren. Ideen entwickeln, nach Finanzierungsmöglichkeiten suchen und Partner für die Umsetzung zusammenbringen. Und Clarissa Meier ergänzt: „Es geht nur gemeinsam. Und man muss es tun.“ Einen schöneren Schlusssatz kann man nicht finden. By upr
www.weddinger-landbote.de vom 09.12.2007
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